Viele Helfer und weniger Wähler bei der Wiederholungswahl

Die Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen verlief weitgehend pannenfrei, die Wahlbeteiligung liegt bei 65 Prozent

13 Minuten dauert der Wahlgang von Landeswahlleiter Stephan Bröchler. Am Sonntagmorgen kurz vor 8 Uhr kommt Bröchler in seinem Wahllokal in Pankow an und kann kurze Zeit später seine Stimmzettel einwerfen. Beim letzten Mal sah das noch anders aus. Am 26. September 2021, erzählt Bröchler, habe er anderthalb Stunden gewartet. Um die Zeit zu überbrücken, unterhielt er sich mit Nachbarn und spielte mit Kindern Fußball. Wie ihm erging es damals vielen Menschen.

Die Wiederholungswahl scheint die Pannen von 2021 nicht zu wiederholen. Im Gegenteil: Wähler*innen berichten von leeren Wahllokalen, Wahlhelfer*innen langweilen sich oder dürfen sogar mittags bis zur Auszählung nach Hause gehen. Statt Bildern von langen Schlangen werden Aufnahmen der umfunktionierten Turnhallen, Schulfoyers und Kneipen in den sozialen Medien geteilt, die teilweise wie ausgestorben wirken.

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Nur kleinere Komplikationen werden im Laufe des Wahlsonntags bekannt: Bröchler berichtet etwa von einer nicht funktionierenden Schaltung bei einer Telefonanlage, dies habe der Anbieter aber in kurzer Zeit behoben; oder von einem fehlenden Schlüssel für eine Wahlurne in Moabit – auch dieser sei schnell herangeschafft worden. Zudem hätten sich mehr Wahlhelfer als erwartet coronabedingt krankgemeldet. »Das konnten wir aber ausgleichen.« Ohnehin verlaufe keine Wahl komplett fehlerfrei: »Also kleinere Wahlfehler werden auch heute vorkommen, aber eben quasi nicht diese strukturellen Fehler, wie wir sie 2021 hatten.«

Der Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin mahnte zur Ruhe bei der Bewertung der Wahl. Jede minimale Komplikation werde »vermutlich minutiös berichtet« und möglicherweise auch skandalisiert, schrieb Faas am Sonntag auf Twitter. Er empfahl: »Bisschen locker bleiben.« Die internationalen Wahlbeobachter des Europarats zeigten sich am Sonntagnachmittag bereits zufrieden. »Der Gesamteindruck ist, dass alles wirklich gut läuft«, sagte Delegationsleiter Vladimir Prebilic vor Schließung der Wahllokale. »Die Dinge sind wirklich gut organisiert, muss ich sagen.«

Dafür sind einerseits die Maßnahmen verantwortlich, die der zu diesem Zwecke neu eingesetzte Landeswahlleiter im Vorfeld der Wahlen initiiert hatte, um einen pannenfreien Wahlsonntag zu garantieren: Rund 42.000 Wahlhelfer*innen, 8000 mehr als 2021, wurden mit Durchführung und Auszählung beauftragt. Um diese zusätzliche Unterstützung zu finden, hatte der Senat das sogenannte Erfrischungsgeld für die ehrenamtliche Arbeit von maximal 60 Euro auf 240 Euro vervierfacht. Außerdem hatte Bröchler die Anzahl der Wahllokale für die rund 2,4 Millionen wahlberechtigten Berliner*innen auf 2257 erhöht.

Doch der reibungslose Ablauf lässt sich nicht nur auf Bröchlers Planung zurückführen. Es kommen am Sonntag schlicht weniger Wähler*innen an die Urnen als vor anderthalb Jahren. Während dieses Mal rund 65 Prozent der Berliner*innen ihre Stimme im Wahllokal oder per Briefwahl abgegeben haben, lag die Wahlbeteiligung 2021 zehn Prozentpunkte höher, bei rund 75 Prozent.

Nun lassen sich die beiden Wahlen nur bedingt vergleichen – 2021 zog die Zusammenlegung der Berlin-Wahl mit der Bundestagswahl und dem Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co enteignen logischerweise mehr Menschen an als die ausschließliche Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlung. Doch auch ein Vergleich mit der Wahl 2016, als ebenfalls nur auf Landes- und Bezirksebene gewählt wurde, zeigt einen Rückgang: 2016 wählten knapp 67 Prozent aller Wahlberechtigten.

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